Missbrauch versus Abhängigkeit

Die Übergänge zwischen bestimmungsgemäßem Gebrauch von Medikamenten, Nebenwirkungen im Verlauf, Missbrauch und Abhängigkeit sind fließend. Dabei werden vor allem die Begriffe Missbrauch und Abhängigkeit nicht immer gemäß definierter Diagnosekriterien verwendet. Bei Substanzen, die eine körperliche Abhängigkeit hervorrufen können, muss zwischen einem Missbrauch und einer Abhängigkeit unterschieden werden. Bei Substanzen, die keine körperliche Abhängigkeit zur Folge haben können, ist nur ein Missbrauch möglich.

Von einem Medikamentenmissbrauch wird gesprochen, wenn eine Substanz nicht mehr bestimmungsgemäß eingenommen und der Konsum fortgesetzt wird – trotz psychischer, körperlicher oder sozialer Folgeschäden (Dilling, Freyberger, 1999). Eine Abhängigkeit ist dann entstanden, wenn bestimmte Kriterien nach ICD-10 erfüllt sind:

Die WHO unterscheidet im ICD-10 zwischen Missbrauch und Abhängigkeit von Substanzen (Dilling et al., 2009). Die Abhängigkeit wird gemäß ICD anhand von sechs Kriterien definiert, von denen mindestens drei innerhalb des zurückliegenden Jahres erfüllt gewesen sein müssen.

Diese Kriterien sind:

  • ▶ starker Wunsch und/oder Zwang, das Medikament zu konsumieren;
  • ▶ verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Menge und/oder der Beendigung der Einnahme;
  • ▶ körperliche Entzugssymptome;
  • ▶ Toleranzentwicklung (Wirkverlust) bzw. Dosissteigerung;
  • ▶ erhöhter Zeitaufwand, um die Substanz zu beschaffen oder sich von den Folgen des Konsums zu erholen, verbunden mit der Vernachlässigung anderer Interessen;
  • ▶ fortgesetzter Konsum trotz Folgeschäden.

Psychische versus körperliche Abhängigkeit

Der Begriff „Abhängigkeit“ wird im Zusammenhang mit Medikamenten unterschiedlich verwendet. „Ich brauche das Medikament aus medizinischen Gründen“, so verteidigen Betroffene gerne eine Langzeiteinnahme und fühlen sich in diesem Sinne von dem Medikament „abhängig“. Neben diesem laienhaften Verständnis von „Abhängig-Sein“ wird im wissenschaftlichen Sprachgebrauch häufig zwischen „psychischer“ Abhängigkeit (im Sinne einer Abhängigkeit ohne körperliche Entzugserscheinungen) und einer „körperlichen“ Abhängigkeit (im Entzug treten körperliche Entzugserscheinungen auf) unterschieden. Die Dichotomie zwischen psychischer und körperlicher Abhängigkeit erscheint ungünstig, weil der Begriff der psychischen Abhängigkeit suggeriert, dass es sich um eine Art „schlechte Gewohnheit“ handelt, die Kraft des „festen Willens“ zu beeinflussen sei.

Dabei ist gerade die eingeschränkte willentliche Steuerung ein Kernkriterium von Abhängigkeitserkrankungen. Dieser „unzureichenden Bremse“ liegen biologische Veränderungen im Gehirn zugrunde, vergleichbar der veränderten Botenstoffsituation bei depressiven Störungen. Wenn die depressive Störung leicht ausgeprägt ist, gelingt es den Patientinnen und Patienten noch, durch willentliche Verhaltensänderung und geschickten Umgang mit den Symptomen die Erkrankung in den Hintergrund zu drängen.

Bei schweren Depressionen ist dies nicht mehr möglich. Diese Analogie gilt auch für Abhängigkeitserkrankungen. Je weiter die biologischen Veränderungen fortgeschritten sind (je länger die Abhängigkeit besteht, je größer die eingenommene Dosis eines Medikamentes ist), umso mehr verselbstständigt sich die Erkrankung (AkdÄ, 2005).

Quelle: Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e. V., Postfach 1369, 59003 Hamm (info@dhs.de) und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, 50819 Köln (order@bzga.de)

Sollten Sie unter einer Abhängigkeit von Schmerzmitteln (beispielsweise von Opioiden) leiden, können Sie mit unserer Unterstützung einen stationären Entzug durchführen.